Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 10/2024.
Als wir im Oktober 2019 noch in der großen Stadt wohnten und –
komm, wir gucken uns das wenigstens an – eines Tages auf diesem Grundstück
standen, stellte ich mir mein gärtnerisches Leben ungefähr, aber doch plastisch
so vor: im Frühjahr tolle Sachen pflanzen, im Sommer und Herbst schöne Blumen
genießen und Gemüse ernten, im Winter vor dem Kamin sitzen. Wie schön, dass es
ein bisschen anders gekommen ist. Wer einen Garten hat, sitzt zwar im Winter
auch mal vor dem Ofen, aber draußen ist immer was zu tun. Gartenwerkstatt
aufräumen, Gehölze schneiden, Kompost umsetzen, Gewächshaus putzen, Beete
vorbereiten, Schafmist umher karren, Werkzeuge reinigen. Zum Glück gibt es
Stirnlampen, als Berufstätige muss man sich den Gegebenheiten des Winters etwas
anpassen.
Der März bleibt trotzdem der Monat, in dem die Freunde aus der
Stadt anrufen und sagen: “Bist bestimmt endlich wieder draußen, jetzt geht’s ja
los.” So falsch sie damit liegen, so recht gibt ihnen der Garten: Gerade in
diesem Jahr geht es doch erstaunlich doll los, im Garten. Die Tulpen reichen
mir schon fast bis zu den Knien, der Pfirsich steht kurz vor der Blüte und zum
ersten Mal, seit ich diesen Garten habe, kann ich vor dem Haus einen
Direktvergleich zwischen Forsythie und Winterjasmin anstellen. Die beiden
Gehölze werden ungefähr so oft verwechselt wie Raps und Ackersenf, wobei ein
gelbes Feld im Frühjahr Raps und im Herbst halt Senf ist, das kann man sich
noch ohne größere Anstrengungen merken.
Bei “gelber Strauch” ist das im
Klimawandel eher schwieriger geworden, weil die Forsythie sich nicht mehr an
die Reihenfolge hält. Die wäre: Erst blüht der Winterjasmin. Im späten März
folgt die Forsythie. Die aber treibt aus ihren rostbraunen Zweigen schon seit
Ende Februar ihre zipfeligen Blütenblättchen aus, obwohl der Winterjasmin – tellerförmige Blüten, grüne Zweige – noch nicht fertig ist. Muss man schon
genauer hingucken. Beide Sträucher sind von ihrem optischen Reiz abgesehen im
Übrigen verzichtbar, weil für Insekten praktisch wertlos. Dann lieber
Kornelkirschen pflanzen, die erkennt man auch sofort. Aber das nur am Rande.
Für die Pflanzen geht es also los, ich selbst dagegen sitze nach
zwei relativ anstrengenden Monaten auf der Bank, freue mich an den Lenzrosen
und beäuge ansonsten kritisch, was ich zu spät, zu unordentlich oder zu
halbherzig, aber immerhin gemacht habe in diesem nassen Winter. Das Projekt
Frühblüher zum Beispiel. In den Gärten meiner westdeutschen Kindheit gab es
neben wild unter den Bäumen wachsenden Schneeglöckchen und ein paar notorisch
lila Krokussen meist wenig mehr als Narzissen-Hybride, also Kulturformen der
gelben Narzisse, aka Osterglocke. Und, klar, große Tulpen.
Gegen diese
Langeweile ist auch wenig einzuwenden, aber wer den ersten Wildbienen im
Spätwinter etwas Futter anbieten und ganz nebenbei mehr fürs Auge haben möchte,
lässt sich von einem sehr lieben Profi eine Liste schicken und geht im Herbst
einkaufen. Balkanwindröschen, Schneeglanz, Elfenkrokusse, kleine botanische
Tulpen, Trauben- und Sternhyazinthen, spanische Hasenglöckchen, Zierlauch –
nimm das, Osterglocke! Auf so einer Liste stehen natürlich die botanischen
Namen, Präzision ist alles im Reich der Sorten. Aber am Ende hat man mit etwas
Übersetzungsrecherche eine Kiste mit knapp 600 Knollen und Zwiebeln vor sich
stehen. Und die wollen alle in die Erde.
Die Erde. Feinkrümelig, locker, humos soll sie sein. Nass,
klebrig und schwer ist sie in meinem Garten seit Anfang Oktober. Und weil ich
kein lieber Profi bin, der über eine Zahl von 600 Blumenzwiebeln lacht und sie
binnen einer Stunde in den Boden haut, egal wo und natürlich in der richtigen
Tiefe, hat das gedauert, mit den Zwiebeln. Erst mal trockeneres Wetter abwarten. Warten, bis der Frost vorbei ist. Weihnachten über die Bühne bringen. Ab Ende
Dezember, es wurde nicht besser, stand ich dann mit Stirnlampe, Gummistiefeln
und einem Eimer Sand für die Drainage im Matsch. Die letzten Zwiebeln habe ich
vor zwei Wochen versenkt, nicht ganz so tief, ist ja schon spät.
Insgesamt habe
ich brutto acht Wochen gebraucht, netto vier Tage. Vorläufiges Fazit, erstens:
Crocus chrysanthus “Cream Beauty” lässt einen mit seinem cremigen Zartgelb
allen Matsch vergessen. Zweitens: Im nächsten Herbst viel mehr Zwiebeln
bestellen und dichter setzen, Blütenteppiche sehen anders aus. Drittens: Gute
Zwiebeln von einem anständigen Hersteller saufen selbst im Klimawandelwinter
nicht so schnell ab. Außer vielleicht die Balkanwindröschen, auf die ich noch
warte. Aber bei den Zwiebeln von Anemone blanda handelt es sich genau genommen
auch gar nicht um Zwiebeln, sondern um knollige kleine Rhizome, sprich
Wurzelstöcke. Die zählen also nicht. Und wer weiß, vielleicht wachsen sie noch.
Überhaupt: Abwarten, kommen lassen. Nicht jede Pflanze muss nach
dem wärmsten Februar aller Zeiten aus dem Boden springen. Die Gärtnerin braucht
außerdem jetzt Zeit, um im Haus zu sein. Denn was bringt all der Garten, wenn
es nichts zu essen gibt. Zwölf großartige, teils alte, teils einfach schöne
Tomatensorten wollen vorgezogen werden. Damit geht’s jetzt wirklich los.
Im Wechsel erklärt Sabine Rohlf jede zweite Woche, wie man das meiste aus 4 Quadratmetern Balkon macht.