von Marcus Luft
23.02.2024, 16:51
4 Min.
Nicht nur die Models sind wieder rappeldürr, auch die Gäste der Modenschauen werden immer dünner. Der Grund? Die Abnehmspritze Ozempic. In allen Front Rows wird darüber diskutiert. stern-Modechef Marcus Luft über den Gossip vom Laufsteg
Eigentlich läuft es immer gleich ab: Keine Modenschau fängt pünktlich an. Eine halbe Stunde Wartezeit? Gehört zum Spiel. So sitzt man dann also am Laufsteg, zusammengepfercht auf schmalen Bänken, und hört den Kolleginnen und Kollegen beim Small Talk zu.
“Warst Du schon im neuen Gucci-Store?”
“Prada war ja wie immer sehr unique!”
“Und hast Du schon gehört, dass Alessandro Michele jetzt bei Fendi anfangen soll? Wird auch Zeit!”
Doch all dieser Klatsch und Tratsch ist im Grunde wahnsinnig nebensächlich. Denn eigentlich spricht jeder gerade nur über das Musthave des Moments: die Abnehmspritze Ozempic. Schon am ersten Tag der Mailänder Modewoche fällt auf: Viele Kolleginnen und Kollegen, die man meist nur einmal in der Saison trifft, sehen auffallend dünn aus. Dabei treffen sich doch alle zum Pasta-Dinner in einer der klassischen Trattorien. Warum auch nicht? Denn ganz offen sprechen sie darüber, dass sie “die Spritze” nehmen. Ein Stich in den Bauch für Size Zero. Träumchen!
Über die Abnehmspritze wird offen diskutiert
Und all das wird noch nicht einmal verheimlicht. Dabei waren Beauty-Eingriffe doch bislang eher ein Tabuthema. Kaum jemand sprach darüber, dass man “irgendwas hat machen lassen”, um faltenfrei auszusehen. Lieber faselte man etwas von “viel Wasser zu trinken und früh zu schlafen”. Doch nun wird über Ozempic ganz offen diskutiert. So wie ein asiatischer Influencer, der kreischt, er habe schon acht Kilo verloren. Dafür erntet er den Applaus seiner Kolleginnen. “It’s like in Heaven!” Andere berichten, sie hätten einen “Top-Arzt” gefunden, der ihnen ein Rezept ausgestellt habe. Schließlich sei es doch viel gesünder, dünn zu sein und eben nicht zu viele Kilos kaschieren zu müssen. Reaktion: Nicken der gesamten Front Row.
Nur bei einem Stylisten hat die Sache mit dem Abnehmen dann doch nicht geklappt. Er habe vier Kilo durch die Spritze zugenommen. “Nein! Oh mein Gott”, ruft die Reihe. Noch dramatischer: Er habe, in weiser Voraussicht, endlich auch dünn sein zu können, die neue Prada-Kollektion in einer kleineren Größe vorbestellt. “Da passe ich nun nicht rein!”, jammert er. “Die Saison ist für mich jedenfalls gelaufen!”
Size Zero kehrt zurück
Es gibt sie also schon, die Generation Ozempic. Und am liebsten spricht sie nur über ein Thema: Normal zu essen – und dennoch schlank zu werden. Fast wirkt es wie ein Befreiungsschlag. So richtig anfreunden konnte sich die Modewelt, zumindest bei den internationalen Modewochen, nämlich nie mit “Plus Size Models” und Body Positivity. “Es sieht an Dicken einfach nicht so gut aus”, sagt beispielsweise eine Kollegin aus München, die nun ebenfalls überlegt, wie sie an die Spritze rankommt. Zwar haben die großen Modehäuser in den letzten Saisons verstanden, dass Diversität schon auch Sinn macht. Sie buchten nicht nur weiße Models, sondern ließen auch Mädchen aus Asien und Afrika die Kollektionen präsentieren. Aber Frauen in großen Größen? Höchstens wurde eine engagiert. Als Alibi. Meistens lief sie dann aber auch wie ein Fremdkörper über den Catwalk, auf dem ansonsten kleine Größen als Ideal gefeiert wurden. Die meisten Top-Influencerinnen wie Leonie Hanne oder Caro Daur sind ohnehin schon immer wahnsinnig dünn und tragen Fähnchen als Kleider in den allerkleinsten Größen.
In diesen Tagen, in denen die Mode für den kommenden Herbst präsentiert wird, sucht man Plus-Size-Models in Mailand nun fast vergebens. Marken wie Prada und Just Cavalli lassen ihre Kollektionen von Ultradünnen präsentieren. Aufregung? Fehlanzeige. Stattdessen redet man sich das Schlanksein lieber schön. “Ist es nicht viel ungesünder, ein paar Kilos zu viel zu haben?”, hört man dann oder es fallen Argumente wie “Hoher Blutdruck!” und “eingeschränkte Lebensqualität”. Klar, dass auch der alte Spruch von Model Kate Moss wieder rausgekramt wird, der besagt, nichts schmecke so gut wie es sich anfühle, dünn zu sein.
Nach dem Abnehmen folgt das Straffen
Doch auch für die Ozempinistas gilt: Nichts im Leben gibt’s geschenkt. Denn natürlich hat der Abnehmwahn auch eine Kehrseite. So wird etwa darüber gesprochen, dass eine Geschäftsfrau aus München zwar 28 Kilo abgenommen habe, aber nun den Körper straffen lassen musste. Vom “Ozempic Face” ist bereits die Rede. Gemeint ist damit die schlaffe Gesichtshaut, die entsteht, wenn man im Gesicht zu schnell abnimmt. Logisch, dass auch Adressen von medizinischen Profis ausgetauscht werden, um auch diesem Problem Herr zu werden.
So also vergeht die Wartezeit bis zum Beginn der Show wie im Flug. Alle sitzen nun, das Licht im Saal geht aus. Sehr dünne Models präsentieren die neuesten Looks für den Herbst. Die Zuschauer nicken sich wissend zu. Können sie bald alles tragen. Ozempic sei Dank. Aber heute Abend erstmal zur Belohnung ein kleines Tiramisu.