Happy Endings

Diese Kultur-Woche hatte eine Klammer, den Tod von Günter Brus und die Eröffnung seiner letzten Ausstellung in Bregenz. Dazwischen bin ich lange Zug gefahren. Und viele Stiegen gestiegen.

Diese Kultur-Woche hatte eine Klammer, den Tod von Günter Brus und die Eröffnung seiner letzten Ausstellung in Bregenz. Dazwischen bin ich lange Zug gefahren. Und viele Stiegen gestiegen.

Mit so vielem könnte ich hier heute beginnen, so viele Anfänge schwirren mir durch den Kopf, auch wenn es so viele Enden gab diese Woche. An deren (zumindest christlich) erstem Tag, dem Sonntag, schrieb ich einen Nachruf, der mir zu Herzen ging, auf Günter Brus, den letzten Wiener Aktionisten. An ihrem letzten Tag werden Sie meinen Bericht über seine letzte Ausstellung lesen, die morgen im Kunsthaus Bregenz eröffnet. Wundervoll ist sie geworden, überraschend in ihrer klaren Ästhetik, wozu auch dieser schönste aller österreichischen Ausstellungsräume das Seine beiträgt. Jedes Mal erstaunt es mich, wie dieser Zumthor-Bau es schafft, die Kunst schlicht durch seine Schlichtheit zu feiern. Wie durch die engen Grabesgänge einer Pyramide erklimmt man Halle für Halle, immer tritt man in sie mit einem Staunen, die architektonische Dramaturgie ist steinalt, aber genial und dient jetzt als Grabkammer des Werks von Günter Brus: von seinen ersten leeren Sesseln, die er auf der Akademie zeichnete, über all das Blut und den Schmerz, bis zu seinen allerletzten Aquarellen, die einen so unendlich leicht und voll des Humors labyrinthisch (so ihre Präsentation) umfangen. Als hätte sich der Künstler hier selbst seinen Nachruf bereitet, nie gelang das einem derart unmittelbar, jedenfalls fällt mir niemand ein. Bis zum Abend vor seinem Ableben dachte er darüber nach.

Brus jedenfalls war die Klammer dieser Woche. Dazwischen lagen viele Stunden, viele Kilometer im Zug, Zeit um Abschied zu nehmen und trotzdem aufzubrechen.

Dazwischen bin ich Stiegen gestiegen, hinunter, hinauf, das tut man zumindest in Wien nur an einem Ort mit derartiger Freude, auf der Strudlhofstiege. Allein, um dort Doderers Tafel wieder zu finden, sein Gedicht, das endet mit dem Seufzer: „Viel ist hingesunken uns zur Trauer und das Schöne zeigt die kleinste Dauer.“ Was am Fuß der Stiege wartet, spottet derlei Pathos natürlich sogleich – das barocke Palais Liechtenstein mit seiner unglaublichen Sammlung Alter Meister. Nur fünf Wochen im Jahr, und zwar diese kommenden fünf Wochen, kann man hier einfach, also ohne Anmeldung und sogar ohne Eintritt zu zahlen durch das Tor marschieren, hinein in das großzügigste aller Wiener Palais, hinauf in den schwindelmachenden Herkulessaal, vorbei kurz am berühmten Rubens-Zyklus, gar nicht meins. Also sogleich wieder hinunter. In die Bibliothek zu den Bozetti, den ganz zauberhaft brüchigen Tonskizzen des venezianischen Bildhauers Giovanni Giuliani für seine Skulpturen für das Palais. Hinüber zu diesem märchenhaften Diana-Zyklus, den Marcantonia Franceschini – der Bauherr des Palais hatte eindeutig ein Faible für Italiener – als Ausstattung lieferte. Auf ihrem Kopf trägt Diana jedes Mal eine schmale Mondsichel, nein, eher schwebt sie über ihrem Haaransatz. Dieselbe Mondsichel übrigens, die sich dieser Tage auf unserem Himmel zeigt, wie oft hat sie mich diese Woche an diese Göttin der Jagd, vor allem aber auch des Mondes, der Frauen und Mädchen erinnert.

Habe ich Ihnen schon einen Guten Morgen gewünscht? Eine kleine Zungenübung vielleicht zum Aufwachen? Acheiropoíeton. Sagen Sie es nur dreimal fehlerlos hintereinander. Dann sind Sie munter. Was das heißt? Keine Sorge. Es bezeichnet ein Bild, das nicht von Menschenhand geschaffen wurde. Sondern, zum Beispiel, von Gott geschenkt wurde, wie es Christlich-Orthodoxe von manchen Ikonen annehmen. Lange wurde auch das Turiner Grabtuch als ein solches Acheiropoieton verehrt. Bis die Wissenschaft den Glauben daran nahm. Darauf gestoßen bin ich im Stephansdom, wo Gottfried Helnwein heuer das Fastentuch gestaltete: Dafür bediente er sich dieses berühmten Abdrucks des toten Christus, nur dass er es kopfüber hinunter schauen lässt, um den Abstieg Christi in die Unterwelt zu symbolisieren, sagt er. Mit einem umgedrehten satanistischen Kreuz, wie manche gleich vermuteten, hat das nichts zu tun. Auch wenn man das gerne unterstellt hätte, am besten gleich eine scientologische Verschwörung. Man muss Helnwein wirklich nicht sympathisch finden, seine Kunst auch nicht sonderlich gut, man muss ihm nicht einmal glauben, für Heuchler hat die katholische Kirche sowieso immer schon Verständnis gehegt, siehe Petrus. Aber große Formate kann Helnwein einfach.

Nicht nur er. Es sollte nicht mein einziges Fastentuch geblieben sein diese Woche – ich sehe Kollegen Karl Gaulhofer, übrigens Danke für meine Vertretung vorige Woche, schon die Augen rollen. Aber ich habe nun einmal eine Schwäche für diese den Hauptaltar bis Ostern verdeckenden Tücher, die Verhüllen und Betonen zugleich, der verschämte salomeische Schleiertanz, den die katholische Liturgie uns gönnt. Ist doch hübsch. Und die Künstler haben auch etwas davon. In Innsbruck heuer vor allem, wo Bischof Hermann Glettler gleich fünf Kirchen mit zeitgenössischen Tüchern ausgestattet hat. Darunter eins von Herbert Brandl, ja, dafür bin ich sogar kurz aus dem (stehenden) Zug gesprungen am Weg zurück aus Bregenz.

Dafür habe ich in der Albertina die neue Ausstellung „Beauty of Diversity“ versäumt, was mich grämen sollte, folge ich meiner Kollegin Sabine B. Vogel, voll Entdeckungen soll sie sein. Muss sofort nachgeholt werden. Sputen sollten Sie sich auch, wenn Sie Thomas Bernhards „Heldenplatz“ im Burgtheater noch sehen wollen. Premiere ist zwar erst am Samstag, aber von nur fünf Vorführungen sind drei bereits ausverkauft. Es inszeniert schließlich Castorf, es spielt schließlich die Minichmayr und es scheint wohl die letzte Produktion mit größerer Breitenwirksamkeit unter der Direktion von Martin Kusej zu werden.

Ein Happy End gab es für ihn zumindest als Burgtheaterdirektor ja nicht unbedingt. Dabei sind diese in der Literatur gerade groß in Mode, wie Spectrum-Chefin Bettina Steiner uns diese Woche erklärte. Wieder ein paar Bücher, die sich mir zumindest nicht unnötig aufdrängen, man hat ja nur so wenig Zeit. Denn wenn schon happy, bevorzuge ich lieber ein Ending als ein End.

Wünscht somit auch Ihnen,

Ihre Almuth Spiegler
almuth.spiegler@diepresse.com

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